Helmmaterial - Unterschiede in der Haltbarkeit

  • Hi


    Mal ne grundsätzliche Frage zur "Haltbarkeit" der versch. Helmmaterialien. Ich habe letztes Jahr (nach 18 J. "Bikeabstinenz" u. entsprechend war mein alter "Arai" längst entsorgt) für meinen Roller einen "Billighelm" gekauft (MTR S-811 - waren ca. 60 Eu.)
    der für diesen Zweck ausreichend war.Das Material ist in dem Fall "ABS".


    Seit ich aber wieder Motorrad fahre, fehlt der Schutz des "Rentnersegels" meiner SH 125i und wie bisher mit leicht geöffnetem Visier fahren (damit Scheibe nicht beschlägt) geht daher nicht mehr bzw. ist mir bei höheren Geschwindigkeiten morgens schlicht zu kalt.
    Darüberhinaus ist der MTR generell bei etwas schnellerer Fahrt zu windempfindlich (letztlich nicht 100 % paßend ) aber vor allem beschlägt der mir bei den feucht/kalten Temperaturen dermassen, dass ich echt kaum noch was sehe bzw. sehr langsam mit geöffnetem
    Visier fahren mußte usw. - also musste ein neuern Helm her.


    Es wurde gestern nach langem Rumprobieren (Vorgabe war beschlagfreies Visier/erstklassiger Sitz/Brillentauglichkeit/gute Belüftung) ein "HJC RPHA ST" (370,- Eu / abzgl. Rabatt waren es dann 330,- Eu), weil der Helm in Tests sehr gut abgeschnitten hat, z.B. hier:


    http://www.hjc-germany.com/new…m-neuen-motorrad-helmtest


    ...und - ganz wichtig - er mir als Brillenträger absolut 100% paßt. Das Material in dem Fall ist "Fiberglas_Composite" und der Verkäufer behauptete u.a..


    "im Gegensatz zu deinem bisherigen Helm, der nach 4 J. reif für die Tonne ist, weil das Material spröde wird - kann man so einen Helm wie den HJC locker 10-15 J. fahren"


    Da frage ich doch mal hier in die Runde:


    Richtig oder falsch ?


    Und hat Jemand von euch den Helm und kann (Langzeit)Erfahrungen (u.a. auch zu Pflege des Visier/Pinlock) beisteuern ?

    4 Mal editiert, zuletzt von Blechbüchsenarmee ()

  • "im Gegensatz zu deinem bisherigen Helm, der nach 4 J. reif für die Tonne ist, weil das Material spröde wird - kann man so einen Helm wie den HJC locker 10-15 J. fahren"


    Da frage ich doch mal hier in die Runde:


    Richtig oder falsch ?


    Eindeutig falsch!


    ABS wird spröde durch UV Bestrahlung und häufigen extremen Temperaturwechsel. Hohe Temperaturen (>80°C) begünstigen die Ausgasung von Styrol.
    Die UV Bestrahlung wird durch opake Lacke verhindert und wirklich hohe Temperaturen sind bei uns eher selten.


    Nach 10-15 Jahren fängt ABS aber trotzdem an spürbar zu altern. Das merken wir am ehesten bei Verkleidungsteilen von Motorrädern.


    Wichtig beim Helm ist ja die Elastizität bei der Energieaufnahme. Hierbei soll Faserverstärkter Kunststoff bessere Eigenschaften haben als einfaches ABS.


    ABER lassen wir uns nicht täuschen: Die meisten Faserverstärkten Helme haben einen "Kern" aus ABS worauf die dünne Faserschicht mit dem Harz aufgebracht wird (nennt sich dann vornehm Composit). Dieses ABS altert jedoch genauso wie das vorher Angesprochene.

    Schützt die Wälder - Esst mehr Biber!

    3 Mal editiert, zuletzt von Hippo ()

  • Also ehrlich gesagt möchte ich keinen Helm 15 Jahre auf der Birne haben. Bei sehr häufigem Gebrauch sind die verschlissen, z.B. Innenleben zerrissen, Ausgeleiert usw. Nach 5-6 Jahren in die Tonne damit und Gut.

    Gruß Gerhard


    ...ich fahre mit gutem Gewissen ! Um die Treibhausgase zu kompensieren habe ich drei Kühe erschossen.

  • Eindeutig falsch!ABS wird spröde ...Nach 10-15 Jahren fängt ABS aber trotzdem an spürbar zu altern.


    Schon klar, das bezieht sich jetzt auf meinen "alten" MTR - wobei ich immer gehört habe, man solle einen (ABS) Helm nach ca 4-5 J. entsorgen ?


    ABER lassen wir uns nicht täuschen: Die meisten Faserverstärkten Helme haben einen "Kern" aus ABS worauf die dünne Faserschicht mit dem Harz aufgebracht wird (nennt sich dann vornehm Composit). Dieses ABS altert jedoch genauso wie das vorher Angesprochene.


    Mag sein, aber ich beziehe meine Frage eigentlich auf den Fall, dass es *nicht* so ist, wie von dir gemutmaßt.


    Ob das von dir beschriebene Szenario auf den von mir genannten HJC zutrifft, weiß ich nicht, aber diese 3 zufällig ausgewählten Videoreviews lassen das eigentlich eher nicht vermuten:


    "With an advanced premium integrated matrix of fiberglass, carbon, aramid, and organic non-woven materials"
    https://www.youtube.com/watch?v=3I2BZABp8WI


    In diesem Video wird als Materialmix benannt: "Fibreglass/Carbonfibre/Aramidfibre"
    https://www.youtube.com/watch?v=rNAtrR1IuuI


    Ebenso hier "Carbon/Kevlar/Fibreglas
    https://www.youtube.com/watch?v=I4UdhQggj9g

    5 Mal editiert, zuletzt von Blechbüchsenarmee ()

  • Du kannst Davon ausgehen, dass jede Helmschale "von der Stange" eine Matrix aus einem Thermoplast hat. Diese wird in der Regel im Spritzgussverfahren hergestellt. Das Material besteht aus ABS, Polycarbonat oder Polyamid.
    Diese Matrix dient als Unterlage für das Faser-Laminat (Glasfaser, Kohlefaser, Aramid usw.) was oben draufkommt. Bei teureren Helmen auch auf der Innenseite.
    Diese äussere Schicht wird als Verbundwerkstoff mit den Fasern aus Duroplasten (z.B. Acrylate) aufgebracht. Diese Laminiertechnik ist aufwändig und deshalb kostenintensiv.


    Je mehr Schichten Fasermaterial mit dem Duroplast laminiert werden desto steifer und zäher wird die Helmschale. Je dicker dieser Duroplast ist, desto weniger hat die Matrix aus Thermoplast darunter eine Bedeutung. (diese ist eh nur ca. 1-2 mm stark.)


    Was deine Zweifel betrifft, ist es immer gut kritisch zu sein denn über Kunststoffmischungen und Herstellverfahren schweigen sich die Hersteller gerne aus und machen nur allgemeine Angaben.


    Aber wenn es dich wirklich interessiert wie so eine laminierte Composithelmschale aussieht, mach mal hier im Marktplatz eine Suchanfrage nach einem kaputten Helm und schneide ihn auf. :D

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  • Also ehrlich gesagt möchte ich keinen Helm 15 Jahre auf der Birne haben. Bei sehr häufigem Gebrauch sind die verschlissen, z.B. Innenleben zerrissen, Ausgeleiert usw. Nach 5-6 Jahren in die Tonne damit und Gut.


    Mag sein - aber mit meiner Frage ("Unterschiede der Haltbarkeit") hat deine Antwort ja wohl eher nix zu tun, oder ?:o

    Einmal editiert, zuletzt von Blechbüchsenarmee ()

  • Du kannst Davon ausgehen, dass jede Helmschale "von der Stange" eine Matrix aus einem Thermoplast hat. ...


    Danke für deine ausführliche Antwort, scheint ja eine "Wissenschaft" zu sein, die für den Laien (beabsichtigt ?) nur schwer zu durchschauen ist.
    Aber wenn ich deine Antwort richtig verstehe, wäre es schon möglich (bzw. gibt es) Helme, die eben nicht diese Basis haben und wirklich nur aus "hochwertigen" Materialien (Fiberglas ?) bestehen und dann auch "ewig" halten ?


    Was deine Zweifel betrifft, ist es immer gut kritisch zu sein denn über Kunststoffmischungen und Herstellverfahren schweigen sich die Hersteller gerne aus und machen nur allgemeine Angaben.


    Zumindest ist es mir nicht möglich gewesen, diese Frage über die HJC Homepage oder deren ansonsten recht gut gemachtem Infovideo (https://www.youtube.com/watch?v=CzAMNW74OXU) zu klären, was deine These wohl bestätigt.


    Aber wenn es dich wirklich interessiert wie so eine laminierte Composithelmschale aussieht, mach mal hier im Marktplatz eine Suchanfrage nach einem kaputten Helm und schneide ihn auf. :D


    Na, ja so wichtig ist es mir dann auch wieder nicht, bin einfach nur neugierig und da es die "Sendung mit der Maus" ja nicht mehr gibt (oder doch ?), muss ich halt in den Weiten des WWW suchen um "schlauer" zu werden :D


    Zumindest bin ich nach einer ersten Testfahrt heute mit dem wirklich ausgezeichneten Tragekomfort (ein sehr leichter Helm), der Geräuschdämmung/Luftzirkulation/der integrierten Sonnenbrille und vor allem der Antibeschlagfunktion sehr zufrieden -
    für mich insgesamt mehr als ausreichend um meine Wünsche zu erfüllen. Wie lange er jetzt wirklich hält, werde ich dann sehen

    2 Mal editiert, zuletzt von Blechbüchsenarmee ()

  • Aber wenn ich deine Antwort richtig verstehe, wäre es schon möglich (bzw. gibt es) Helme, die eben nicht diese Basis haben und wirklich nur aus "hochwertigen" Materialien (Fiberglas ?) bestehen und dann auch "ewig" halten ?


    Klares Jain!


    Ich habe früher einige Sachen aus GFK hergestellt.
    Bei einem Hohlkörper braucht man eine "Unterlage" worauf man laminieren kann.
    Einen Motorradtank habe ich aus Styropor vorgeformt und anschliessend mit Zeitungspapier und Tapetenkleister tapeziert.
    Danach habe ich das Ding mit GFK umgeben, trocknen und aushärten lassen und anschliessend der Länge nach aufgeschnitten. Dann habe ich das Styropor und Papier von innen mühsam rausgegrübelt und saubergemacht. Anschliessend wurden die zwei Hälften wieder zusammenlaminiert und weiterbehandelt.


    Würde man so ein Verfahren bei einem Helm einsetzen, könnten sich nur sehr wenige Menschen einen GFK- oder Composithelm leisten.
    Also lässt man die Matrix (die Unterlage worauf man mit den Fasern und dem Harz laminiert) in der Helmschale drinnen und das ist in der Regel eine Innenschale aus Thermoplast, also z.B. ABS.
    Für den Autorennsport, speziell bei der Formel 1 werden Helme völlig ohne ABS und Thermoplasten hergestellt, sonst würden die Thermoplaste bei einem Feuer auf den Kopf des Trägers schmelzen. (Tönt irgendwie unangenehm) Die Preise für diese Helme übersteigen aber den Wert von manchem schönen Motorrad. :wink1:

    Schützt die Wälder - Esst mehr Biber!

  • Ich darf unbedingt diese Lektüre empfehlen:


    Postille : Roadster, Ausgabe 03 / 16


    Da ist ein mehrseitiger suuuuper Artikeln, Thema: Premium Helme unter der Lupe.


    Allein deswegen seine 5.90 euronen wert.


    Bonobo

  • Ich habe früher einige Sachen aus GFK hergestellt....


    Also in dem Fall sage ich mal wirklich ganz ehrlich:


    Danke für deine "Grosse Klappe" :D
    Das sind so Momente wo ich weiß - manchmall lohnen sich Internetforen wirklich - super nette und verständliche Erklärung :goodp:

  • Ich darf unbedingt diese Lektüre empfehlen
    Da ist ein mehrseitiger suuuuper Artikeln, Thema: Premium Helme unter der Lupe.
    Allein deswegen seine 5.90 euronen wert.
    Bonobo


    Hi Bonobo - auch an dich ein "Herzliches Dankeschön" - ich kannte die Zeitschrift bisher nicht mal, aber ich habe das Heft soeben online bestellt (geht sogar versandkostenfrei/via PayPal - also total easy)-
    Wie du so richtig schreibst, bei 5,90 Eu. riskier ich ja nicht die Welt :D

  • Klares Jain!
    Ich habe früher einige Sachen aus GFK hergestellt.


    Da du dich ja wohl ganz gut auskennst (besser wie ich allemal) - was meinst du, wie lange kann man einen "normalen" ABS o.ä. Helm tragen bis er "fertig" ist - und wie lange einen Helm wie meinen HJC mit dieser speziellen Beschichtung (in #5 hast du ja sehr anschaulich beschrieben, welche Unterschiede es auch da zu beachten gibt - wie das bei meinem Helm exakt ist weiß ich nat. nicht) ca. tragen. Oder kann man das ohne nähere Kenntnisse der Stärke der Beschichtung/innen oder außen usw. gar nicht beantworten ?

    Einmal editiert, zuletzt von Blechbüchsenarmee ()

  • Da ABS Helme in der Regel rel. günstig zu erwerben sind, werden bei beweglichen Teilen und beim Innenleben oft auch nicht First-Class-Materialien verwendet. Wenn das Futter anfängt zu fusseln und die Sonnenblende immer öfter hakt und das Visier nicht mehr festzustellen ist oder bei Klapphelmen der Verschluss nur noch mit Gewalt schliesst, hat der Helm wohl seine beste Zeit hinter sich.
    Meiner bescheidenen Erfahrung nach, machen solche Helme nicht mal 5 Jahre das Spiel mit. Also brauche ich mich mit der Haltbarkeit der Schale nicht gross auseinanderzusetzen.


    Ganz anders bei den Laminierten Helmen.
    Hier besteht das Problem nicht primär in der Alterung des Materials sondern in der Handhabung resp. dem vorsichtigen Umgang damit.
    Wenn man sich bewusst ist, dass die Helmschale aus Acrylaten, aus einem grossen Molekül besteht, versteht man auch, dass durch eine geringe Schlageinwirkung, wie z.B. vom Töff auf den Asphalt hart aufschlagend runterfallen, strukturelle, aber unsichtbare Risse entstehen können. Diese Risse dehnen sich mit der Beanspruchung weiter aus (Wie ein Steinschlag in der Autofrontscheibe) und Jahre später erweist sich der Helm im Ernstfall doch nicht als so elastisch wie er sein sollte.
    Darum wird in Foren auch immer darauf hingewiesen, solche runtergefallenen und hart aufgeschlagenen Helme einzuschicken und testen zu lassen.

    Schützt die Wälder - Esst mehr Biber!

  • Ganz anders bei den Laminierten Helmen.
    Hier besteht das Problem nicht primär in der Alterung des Materials sondern in der Handhabung resp. dem vorsichtigen Umgang damit.


    Ich geb nicht auf :D


    Also - wenn du mal davon ausgehst, dass ich meinen HJC pfleglich behandel/nicht fallenlasse - könntest du dann nochmal meine Frage aus #15 durchlesen ?:gruebelx:
    Oder gilt uneingeschränkt, was du in #2 geschrieben hast - ohne das wir Stärke der Laminierung/Anteil ABS kennen ?


    Lass mich nicht "dumm" sterben, bitte:helpx:

    2 Mal editiert, zuletzt von Blechbüchsenarmee ()