CBR600FA BJ2012: Hinterradbremse wird heiß

  • Hallo, zusammen,


    ich habe jetzt ein paar neue Erkenntnisse. Am Ende der "Test-Strecke" habe ich diesmal meinen Motorradheber platziert. Außerdem habe ich ein Thermometer und eine Stoppuhr mitgenommen.


    Zuhause habe ich das Hinterrad im Leerlauf mit einer Hand kräftig angeschubst. Es hat sich ca. 1.5 Umdrehungen weitergedreht. Dann habe ich den Bremskolben zurückgestellt, sodaß die Bremse nicht anliegt, und wieder gedreht. Diesmal 2 Umdrehungen. Die Kette und das Getriebe scheinen also mehr zu bremsen, als die anliegende Hinterradbremse. Die 1.5 Umdrehungen scheinen normal zu sein, soweit ich im Forum sehen konnte.


    Dann bin ich die "Test-Strecke" mit der CBR gefahren, ohne die Hinterradbremse zu betätigen (die Vorderradbremse habe ich zum Anhalten logischerweise gebraucht), und habe diesmal genauer auf die Strecken und die Geschwindigkeiten geachtet. Heute waren Verkehr und dynamische Tempolimits auch anders. Also:
    4.4km lang 110-120km/h
    600m lang 80km/h
    10km lang ca. 160km/h
    1.2km lang ca. 60km/h plus Ampel.


    Als ich ankam, habe ich gemessen:
    Bremsscheibe hinten rechts: 53°C (hat sich heiß angefühlt)
    Bremsscheibe vorne rechts: 33°C
    Bremsscheibe vorne links: 38°C
    Außentemperatur: 26°C


    Der Test des Hinterrad-Drehens ergab diesmal 2 Umdrehungen mit normal anliegender Bremse. Wahrscheinlich bremst das warme Motor- bzw. Getriebeöl weniger.


    Nach einer Abkühlphase habe ich das Hinterrad auf dem Ständer auf 180km/h Umfangsgeschwindigkeit beschleunigt, ca. 15 sec. auf dieser Geschwindigkeit gelassen, und dann ausgekuppelt und den Tacho beobachtet. Die meiste Zeit fiel er um ca. 10km/h pro Sekunde. Am Schluß waren's ca. 5km/h pro Sekunde. Bis zum Stillstand hat es 20 Sekunden gedauert (Stoppuhr). Die Hinterrad-Bremsscheibe hat sich bei diesem Versuch von 37.2°C auf ca. 44°C erwärmt.


    Den Versuch habe ich mit zurückgestelltem Bremszylinder wiederholt, da hat es 29.9 Sekunden zum Stillstand gedauert, und das Nachlassen des Abbremsens bei geringen Geschwindigkeiten war viel stärker ausgeprägt, als mit anliegender Bremse.


    Ich würde daraus folgern, daß die Bremskraft der anliegenden Bremse näherungsweise unabhängig von der Geschwindigkeit ist. Das Nachlassen der Abbremsung bei niedrigeren Raddrehzahlen kommt wohl hauptsächlich durch Kette, Getriebe und Kupplung. D.h. die 2 Umdrehungen beim Anschubsen per Hand sind auch für höhere Drehzahlen aussagekräftig. Da die 2 Umdrehungen laut Forum normal sind, hat sich meine Bremse bei diesem Versuch also normal verhalten. Trotzdem hat sie sich in wenigen Sekunden um 7K aufgeheizt, und wenn der Versuch länger gegangen wäre, hätten schon die 53°C herauskommen können (ich wollte die Umgebung nicht so lange mit dem Lärm "beglücken").


    Andererseits sind 60 °C keine Temperatur.


    Zu dem Schluß würde ich nach diesem Test auch kommen. Daß sich die vorderen Bremsscheiben viel weniger aufheizen, obwohl sich das Vorderrad auch nicht leichter drehen läßt, müßte dann wohl am größeren Scheiben-Durchmesser liegen. Ich verstehe nur nicht, warum mir die Temperatur der hinteren Bremsscheibe früher nie aufgefallen ist. Daß ich bis zum Treffpunkt einer Tour ein Stück Autobahn gefahren bin und dort den Luftdruck geprüft habe, ist ja schon öfter vorgekommen.


    Sofern die Scheibe in Ordnung ist (max. Seitenschlag 2/10 mm) ...


    Ich glaube schon. Wenn ich das Rad von Hand drehe, merke ich fast konstante Bremskraft der anliegenden Bremsscheibe, unabhängig von der Radstellung. Das Schleifgeräusch ist auch konstant. Da sich beim Betätigen der Bremse die Bremsbeläge nicht erkennbar bewegen (also sicher deutlich weniger als 0.2mm), müßte ich einen Seitenschlag von 0.2mm eigentlich deutlicher merken.


    Lass die Radlager checken. Haben die Spiel, reibt es auch mehr an der Bremsscheibe.


    Mit aufgebocktem Motorrad habe ich versucht, den Hinterreifen seitlich gegenüber der Schwinge oder dem Heck zu bewegen. Dabei konnte ich keine Bewegung feststellen, also kann das Spiel zumindest nicht schlimm sein. Ein genaues Meßgerät dafür habe ich aber nicht.


    Nach Ankunft am Endpunkt der Teststrecke habe ich das hintere Radlager berührt: es war etwas warm, aber deutlich kühler als die Schwinge, die anscheinend über das Schwingenlager vom Motor mitgeheizt wird und wohl einen Teil der Wärme über die Achse an das Radlager weitergibt. D.h. die Radlagertemperatur kommt mir auch normal vor.


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    Sofern Ihr die Meßergebnisse, insbesondere die Temperaturen, auch als normal anseht, würde ich also sagen: Entwarnung (gottseidank :)-).


    Viele Grüße,


    Bernd

  • Nachtrag:


    ich habe gestern in unserer Bikergruppe einen erfahrenen Motorradschrauber getroffen. Der hat gemeint, die Hinterradbremse dürfte überhaupt nicht fühlbar warm werden, sonst sei etwas kaputt. Allerdings hat er dann das Hinterrad meiner Maschine von Hand gedreht und gemeint, das sei in Ordnung, auch nach Betätigung der Bremse. Daraufhin war er sich nicht mehr 100% sicher, daß die Bremsscheibe kalt bleiben muß; er konnte auch nicht mit letzter Sicherheit beschwören, daß er seine nach einer Autobahnfahrt schon einmal berührt hatte. Das Problem habe ich ja auch.


    Kann mir jemand sagen, wie heiß die Scheibe einer unbetätigten Hinterradbremse bei einer Autobahnfahrt werden darf?


    Viele Grüße,


    Bernd

  • Hallo Bernd,


    Vielen Dank für Deine ausführliche Antwort!


    Es gibt mehrere Möglichkeiten, warum die hintere Bremse sich aufheizen kann:
    - Bremskolben schwergängig
    - Sattelführungen schwergängig
    - Brembelagführungen verdreckt und schwergängig bzw. trocken
    - Übermäßiger Seitenschlag der Bremsscheibe (sollte man aber als Rubbeln beim Bremsen bemerken)


    Ich empfehle folgendes: Bremssattel abbauen, Beläge entfernen. Dann vorsichtig (!) das Bremspedal betätigen und dabei auf den Kolben achten. Wird er beim Loslassen sichtbar wieder zurückgezogen, dann ist der Rechteckring in Ordnung und der Kolben leichtgängig genug.


    Dann alles reinigen: Belagfeder, Anlagestellen an Kolben und Sattel. Sattelführungen zerlegen und richtig reinigen, auch in den Sacklöchern. Sattelführungen gehöhren mit Silikonfett geschmiert, ATE Bremszylinderpaste geht auch, das ist auch nur Silikonfett. Der Sattel muss sich auf dem Halter ohne Stuckern bewegen lassen. Etwas Kraft ist dafür nötig, ganz leicht läuft das nicht.


    Danach kommt die gereinigte Belagfeder wieder in den Sattel. Die Rückenplatten der Beläge werden gereinigt und beim Einsätzen der Beläge werden alle Kontakt- und Gleitstellen an Sattel und Belagfeder mit einem geeigneten Schmiermittel versehen, ebenso der Belagstift (sofern vorhanden). Als Schmiermittel kann man Kupferpaste (Vorsicht bei ABS und Alu-Sätteln), Bremsenfett von Textar, Keramikpaste oder Anti-Quietsch-Paste von LiquiMoly nehmen. Die besten Erfahrungen habe ich mit dem Fett von Textar gemacht, das ist recht klebrig und bleibt dort wo es ist, auch nach Wäschen oder Regen.


    Eine so gereinigte Bremse muss ordnungsgemäß laufen. Wenn es dann immer noch nicht geht, ist entweder der Kolben schwergängig oder die Rücklaufbohrung im Bremszylinder verstopft oder der Bremsschlauch zugeqollen. Irgendwann beim Fahren geht der Kolben dann nicht mehr zurück.


    Viele Grüße!


    Sven

  • Hallo, Sven,


    vielen Dank für Deine detaillierten Vorschläge. Die meisten konnte ich noch nicht ausprobieren. Denn bevor ich die Hinterradbremse abmontiere, muß ich erst die nötigen Schmiermittel besorgen, sowie vorallem die Spezialschraube, die in diesem Fall laut Werkstatthandbuch erneuert werden muß.


    Bremssattel abbauen, Beläge entfernen. Dann vorsichtig (!) das Bremspedal betätigen und dabei auf den Kolben achten. Wird er beim Loslassen sichtbar wieder zurückgezogen, dann ist der Rechteckring in Ordnung und der Kolben leichtgängig genug.


    Das habe ich gemacht, allerdings wie gesagt ohne den Bremssattel abzubauen. Stattdessen habe ich zwei Zündhölzer zwischen Bremszange und rechten Bremsbelag gesteckt, sodaß der Bremsbelag gegen die Scheibe und der Bremssattel nach rechts gedrückt wird. Damit kann man den Kolben auch gut beobachten.


    Zuerst habe ich den Kolben relativ weit zurückgestellt. Dann habe ich das Bremspedal entsprechend weit betätigt. Man sieht deutlich, daß der Kolben wieder zurückgezogen wird. Ich weiß nur nicht, ob nur vom Rechteckring, oder auch vom Unterdruck in der Bremsleitung. Deshalb habe ich anschließend den Bremshebel mehrmals nur schwach betätigt.


    Das Ganze habe ich gefilmt, siehe:


    [video]http://www.heidi-eppinger.de/B…sentest_2017-09-02_lr.mp4[/media]


    Das leichte Ruckeln kommt von der geringen Bildrate von 8fps (wegen Speicherplatz). In Wirklichkeit läuft der Kolben gleichmäßig. Nach meinem laienhaften Urteil bewegt sich der Kolben genügend weit zurück, aber vielleicht könnte das auch ein Experte anschauen.


    Der Sattel muss sich auf dem Halter ohne Stuckern bewegen lassen. Etwas Kraft ist dafür nötig, ganz leicht läuft das nicht.


    Das ist im eingebauten Zustand bei zurückgestelltem Bremskolben der Fall, nur drücken die Gummibälge den Sattel nach dem Loslassen wieder etwas zurück. Das war auch schon so, bevor ich sie in der Werkstatt hatte.


    Außerdem lassen sich bei zurückgestelltem Bremskolben die Beläge leicht bewegen.


    Dann alles reinigen: Belagfeder, Anlagestellen an Kolben und Sattel. Sattelführungen zerlegen und richtig reinigen, auch in den Sacklöchern. Sattelführungen gehöhren mit Silikonfett geschmiert. [...] Danach kommt die gereinigte Belagfeder wieder in den Sattel. Die Rückenplatten der Beläge werden gereinigt und beim Einsätzen der Beläge werden alle Kontakt- und Gleitstellen an Sattel und Belagfeder mit einem geeigneten Schmiermittel versehen, ebenso der Belagstift [...]


    Das hätte theoretisch meine Werkstatt gerade eben machen müssen :gruebelx:. Unabhängig davon: wenn Beläge und Sattelführung leichtgängig sind, und wenn ich zwischen Kolben und Belagrückseite eine Art Schmiere zu sehen ist, dann müßte die Werkstatt diese Arbeiten doch richtig gemacht haben? Oder macht es trotzdem Sinn, daß ich die Bremszange nochmal ausbaue? :confusedx:


    Was mir auf meinem Video noch aufgefallen ist: wenn der Kolben am Bremsbelag anliegt, und ich betätige die Bremse, dann bewegt sich der Belag kaum, aber der Bremssattel bewegt sich deutlich in entgegengesetzter Richtung. Vielleicht sind meine zwischengeschobenen Zündhölzer zu weich, sodaß sich bei gelöster Bremse der andere Belag samt Zange von der Bremsscheibe wegbewegt. Oder vielleicht verformt sich die Bremszange (oder etwas anderes), obwohl ich die Bremse nur schwach betätigt habe. Im zweiten Fall könnte ich mir vorstellen, daß der Rechteckring den Kolben nach einer starken Betätigung der Bremse nicht mehr weit genug zurückziehen kann, um ein Anliegen zu verhindern. Ich werde das morgen genauer anschauen, aber den anderen Bremsbelag kann ich schlecht sehen, weil der Hinterreifen im Weg ist. Auch mit der Kamera werde ich nicht vernünftig hinkommen.


    Viele Grüße,


    Bernd

  • Würde mir bei den Temperaturen gar keinen Kopf machen, meine hat jetzt 10600km runter und die Beläge sind fast am Ende. Aber verzögern noch wie am ersten Tag, also zu heiss wurden sie nicht. Habe aber auch ehrlich gesagt nie darauf geachtet.

  • Weil das Motorrad keinen Hauptständer hat kann man die simpleste Testmethode leider nicht so einfach machen. Hinterrad durchdrehen und es muss eine Zeit weiterlaufen, sonst hängt die Bremse. Wenn die Bremse hängt sind zu 90 Prozent die Kolben schwergängig. Wenn alles zerlegt und zusammengebaut und mit Bremspaste gearbeitet wurde dann müsste alles OK sein. Aber wie gut Werkstätten wirklich arbeiten das ist hier wieder mal die Frage. Weil ich das alles selber mache weiss ich auch was ich tue und bei mir gibt es keine hängenden Kolben.

  • Aber wie gut Werkstätten wirklich arbeiten das ist hier wieder mal die Frage.



    Also meiner hat fachlich keinen Plan, ist aber hier auch bekannt daß man da eher nur zum kaufen hin kann und nicht unbedingt zur Reparatur

  • Hallo, Kollegen,


    vielen Dank für die zahlreichen Antworten noch 1 Jahr später. Inzwischen glaube ich, ich weiß was es war. Die erste Andeutung dazu steht im letzten Absatz meines Posts vom 02.09.2017 20:52.


    Auf dem Video sah es so aus, als ob sich die Bremszange beim Bremsen leicht verdrehen würde, so als ob die Bremsbeläge nicht genau parallel an der Scheibe anliegen würden. Die Vermutung war, daß dadurch die Bremskolben einen weiteren Weg machen müßten und deshalb von den Dichtungsringen nicht mehr ganz zurückgezogen werden könnten.


    Zur Klärung habe ich dünnes Papier und Pauspapier zwischen Bremsscheibe und Bremsbeläge gelegt und dann die Bremse stark betätigt. Leider war das Pauspapier zu hart oder die Bremse zu schwach, sodaß ich nur mit viel Phantasie Abdrücke der Bremsbeläge sehen konnte. Die sahen wirklich so aus, als ob der eine Belag vorne und der andere hinten stärker anliegen würde. Falls das die Ursache war, müßte sie von selbst verschwinden, wenn die neuen Bremsbeläge eingelaufen sind.


    Deshalb habe ich die Bremsscheibe auf den nächsten Ausfahrten beobachtet. Die Temperatur wurde immer geringer, und nach einigen 100km war alles wieder normal. Also scheint das ein normaler und vorübergehender Effekt zu sein, daß die Bremsscheiben nach einem Wechsel der Bremsbeläge anliegen und warm werden. Warum das Motorrad ursprünglich in der Werkstatt war und überhaupt schon wieder neue Bremsbeläge gebraucht hat, daran war dagegen wahrscheinlich wirklich ein verschmutzter Bremskolben Schuld.


    Weil das Motorrad keinen Hauptständer hat kann man die simpleste Testmethode leider nicht so einfach machen.


    Wenn man einen Zentralständer hat, geht es trotzdem, wie geschrieben.


    Aber wie gut Werkstätten wirklich arbeiten das ist hier wieder mal die Frage.


    Also, die Werkstatt hat hier anscheinend sauber gearbeitet. Übrigens sind dieses Jahr auch meine vorderen Bremsbeläge fällig geworden. Aufgrund der Erfahrungen mit der Hinterradbremse habe ich die Werkstatt gebeten, dabei auch die Kolben zu reinigen und einzufetten, obwohl das nicht im Werkstatt-Handbuch steht. Das haben sie gemacht (soweit ich mit Spiegel und Lupe erkennen konnte) und wollten nichteinmal Aufpreis dafür verlangen. Also scheint meine Werkstatt nicht schlecht zu arbeiten.


    Viele Grüße,


    Bernd

  • Wenn die Bremse hängt gehört der Kolben raus, der Dreck dahinter weggespült, die Dichtung kontrolliert, mit Bremspaste zusammengebaut samt Staubschutz und der Rest der Bremsattelbefestigung gereinigt, die Führungsflächen geputzt, geglättet. Wenn irgendwas nur halb gemacht wird gibt's ewig Probleme. Und Gejammer und Diskussionen.